Was in der realen Welt der Wissenschaft an Universitäten und in wissenschaftlichen Printmedien nicht denkbar ist, macht das Web 2.0 möglich: Zahlreiche Wissenschaftsblogs werden anonym geführt. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären. Welche Gründe führen dazu, dass man nicht in eigenem Namen und in eigener Verantwortung einen "Wissenschaftsblog" betreibt?
Die Betrachtung "anonymer Wissenschaftsblogs" geschieht hier im Hinblick auf die Frage: "Was sind (gute) Wissenschaftsblogs". Die derzeitigen "Meldungen" zum "germanresearchblogging", deuten darauf hin, dass auch anonym bloggende Wissenschaftsblogs ihr Interesse an Qualitätssicherung bekunden.
Viele anonyme Wissenschaftsblogger stehen durchaus im Ansehen der Web 2.0- Bloggergemeinde. Allerdings schließen die gesetzlichen Regelungen und die durchaus vorhandenen, und in Einzelfällen auch mir bekannten Möglichkeiten der Täuschung eine ernsthafte "Qualitätssicherung" zunächst (scheinbar?) aus. Da im Schutze der Anonymität sowohl Täuschung, als auch Seriosität möglich ist, ergeben sich - insbesondere für die anonymen Blogger der Kategorie 3. und 4. erhebliche Nachteile.
Zunächst versuche ich Kategorien zu bilden, welche "Arten" von anonymen Wissenschaftsblogs im Internet überhaupt vertreten sind? Danach stelle ich einige Hypothesen auf, welche Beweggründe dazu führen können bzw. könnten, einen anonymen Blog zu führen. Meine Leser - gemeint sind hier Wissenschaftsblogger und ihre Leser - möchte ich bitten, die Kommentarfunktion zu nutzen und ihre Gedanken dazu zu äußern.
Die "Arten" anonymer Wissenschaftsblogs:
- 1. Laien in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
- 2. Abiturienten, Studenten und Studienabbrecher in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
- 3. Absolventen eines wissenschaftl. Studiums in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
- 4. Anonyme Blogs von Doktoranden, d.h. Absolventen eines wissenschaftlichen Studiums, welche eine Doktorarbeit verfassen
ad 1.) Laien in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
Unter Nummer 1 versammeln sich jene, welche die Anonymität nutzen, um sich selbst eine "neue" und angesehenere Identität zu verschaffen. Damit werden berufliche Fehlentwicklungen, schulisches Versagen, verpasste Chancen kompensiert und die eigene Identität mit dem "Wissenschaftlerdasein" in der virtuellen Realität "aufgemöbelt".
Das Web 2.0 macht dies möglich. Solange die virtuelle Community keine Offenlegung der Identität von Wissenschaftsblogs fordert, gibt es für "Blender" eine kostenlose virtuelle Realität in der Wissenschaftsblogsszene. Zunächst vermag das Mittel einer solchen "künstlich" geschaffenen Realität eine ähnliche bzw. sogar stärkere Ersatzbefriedigung bieten, als jene welche z.B. in einer "Second-Life-Welt" möglich wäre.
ad 2) Abiturienten, Studenten und Studienabbrecher in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
Für diese Gruppe gilt durchaus Ähnliches, wie in Gruppe 1. Allerdings lässt sich ein Unterschied zu einem "echten" bloggenden Wissenschaftler schlechter ausmachen. Diese Gruppe wird durchaus von der Community der Wissenschaftsblogger ernst genommen. Sie werden aufgesucht und wissenschaftliche Diskurse werden geführt. Gehen diese jedoch in die Tiefe, kommen solche selbst ernannten Wissenschaftler dann durchaus ins Straucheln: Ihre Argumente bleiben oberflächlich. Eine Argumentation auf wissenschaftlicher Ebene, mit wissenschaftlichen Methoden ist kaum möglich.
Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung weniger groß, wie dies in der Gruppe 1 der Fall ist. Dazu gibt es wieder viel zu viele Beispiele von bloggenden "echten" Wissenschaftlern, welche als Blogthemen weniger ihr eigenes Studiengebiet auswählen und dann mit ihren gewählten Themen die Grenzen zwischem wissenschaftlich und nicht-wissenschaftlich geführtem Diskurs verschwimmen lassen.
ad 3) Absolventen eines wissenschaftl. Studiums in der Anonymität des Wissenschaftsbloggens
An dieser Stelle beginne ich mich zu fragen, warum Menschen, welche ein wissenschaftliches Studium abgeschlossen haben, überhaupt anonym bloggen (müssen). Denn nüchtern betrachtet gibt es eigentlich keinen "triftigen" Grund.
Da es zu diesem Thema noch keine "Studien" gibt und dieser Beitrag auf der Basis von persönlichen Kontakten und Informationen Dritter, zustande kommt, fehlt natürlich das konkrete Wissen über die Gründe der selbst gewählten Anonymität.
Hypothetisch könnte die Anonymität zurückgeführt werden auf
- a) die Sorge, dass der Auftritt als Wissenschaftsblogger der eigenen wissenschaftlichen Karriere schaden könnte.
- b) die Sorge, man könne ob seiner Beiträge in der öffentlichen Kritik stehen. Dieser Kritik fühlen sich die Blogger nicht gewachsen.
- c) soziale Ängste verhindern das Bekenntnis zur eigenen Person
- d) die Möglichkeit, in seinen Beiträgen auch "über das Ziel hinausschießen zu dürfen" und im Schutze der Anonymität Meinungen zu veröffentlichen, welche die Person ansonsten nicht äußern würde
- e) die Sorge - weil die eigenen Beiträge eher "nicht-wissenschaftlichen" Charakter haben, dass das Ansehen in der realen Science-Community schaden nehmen könnte
Sicherlich sind an dieser Stelle noch etliche andere Gründe denkbar.
4. Anonyme Blogs von Doktoranden, d.h. Absolventen eines wissenschaftlichen Studiums, welche eine Doktorarbeit verfassen
Hier gelten natürlich auch die Annahmen unter Punkt 3. Wobei ich mir noch vorstellen könnte, dass einige wenige Doktoranden ansatzweise Themen aus Ihrer Arbeit bloggen, oder sofern Sie von ihrem Doktorandenleben berichten, die Anonymität ihrer Umgebung im Auge haben könnten.
Gerade im Falle des letzten Punktes ist das Bloggen aus der Anonymität heraus zunächst verständlich. Jedoch handelt sich es dann auch um einen Blog von einem Wissenschaftler, welcher über alles Mögliche und nicht vornehmlich über Wissenschaft bloggt.
Sofern jedoch keine Gründe, wie genannt, für eine Anonymität sprechen, ist eine Anonymität unter Doktoranden die unverständlichste Form der Anonymitätssuche überhaupt. Vielmehr könnte dies ein Hinweis sein auf eine(n) Blender(in), welche auf der "Schulter des (Doktoranden-)Riesen" unverdiente Lorbeeren erhalten möchte.....
Folgen anonymer Blogger für sich selbst und für das "gute" Wissenschaftsblogging:
Sofern seriös über Wissenschaft gebloggt wird, nimmt am meisten der Autor selbst Schaden. Denn seine Beiträge werden nicht ihm, sondern nur einer"fiktiven", rein virtuell existenten Figur zugeschrieben. Neben der Verletzung der Impressumspflicht, verliert die/der Autor das Urheberrecht an den eigenen Beiträgen. Denn das Urheberrecht gilt nur für Beiträge, welche einem bestimmten Autor auch zuordenbar sind.
Anonyme Autoren laufen immer Gefahr, die Grenzen seriöser Wissenschaftlichkeit und die Grenzen einer den Anderen respektierenden und höflichen Form des Umganges, zu verletzen. Bekannt ist dieses Phänomen aus der Sozialpsychologie: die Anonymität lässt Hemmschwellen deutlich sinken.
Anonyme Autoren können die virtuelle "Science Community" ordentlich aufs Glatteis führen. Besonders peinlich, wenn dann irgendein Zufall die Anonymität lüftet. In zahlreichen Blogrolls von durchaus seriös wissenschaftlich bloggenden und nicht anonymen Autoren finden sich nicht wenige anonyme Blogs. Auch anonyme Blogger, welche ich persönlich eher zur Gruppe 1+2 zähle, finden sich in Blogrolls und Verlinkungen. Ein "Stammtischgespräch" eines Bloggers der Rubrik 1.) ist letztlich der "Gedankenanstoß" für meinen Beitrag hier gewesen. Wenn sich so jemand vor anderen brüstet, wie er "echte" Wissenschafter "veraxxxxxt", dann ist dies ein wichtiger Anlass, im Netz einmal "öffentlich" darüber nachzudenken!
Die bunte Vielfalt und die völlige Undefiniertheit von Wissenschaftsblogs fördern die Existenz von Copy-And-Paste-Pseudo-Wissenschaftsblogs. So haben wir durchaus eine virtuell existente Pseudowissenschaftsblogswelt. Wie klein oder groß dieselbige ist, lässt sich schwer abschätzen.
Qualität in Wissenschaftsblogs wird transportiert durch die Qualität der eigenen Beiträge und nicht durch ein künstlich "angeeignetes" Label eines bloggenden Wissenschaftlers. Ich halte es daher für sehr wichtig, dass sich die Wissenschaftsblogszene profiliert und ihre Wissenschaftsnähe bzw. -ferne durch die Schaffung eigener Regeln definiert.
Das bedeutet:
Wissenschaftsblogs, wie z.B. die hardbloggingscientists haben sich bestimmte Regeln für ihr Bloggen gesetzt. So ist es denkbar, dass Blogger selbst "Kategorien" schaffen, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen in den Wissenschaftsblogs durch die nähere Beschreibung ihrer Wünsche und Ziele, für ihre Leser näher zu kennzeichnen.
FAZIT:
Leider kann und darf man in der virtuellen Welt nicht alles glauben. Zu schwimmend sind die - gerade bei der jüngeren Generation - gut eingeübten "Rollen" zwischen virtueller "Spielewelt" und virtueller "Bloggerwelt."
Seriös und begründet "anonym" bloggende Wissenschaftler haben das Nachsehen.....
Aktuelles trauriges Beispiel dafür, dass kritisches Hinterfragen wichtig ist:
Gefälschtes Interview in Polylux
Kommando platziert gefälschtes Interview in Polylux
"Erschreckend, wie einfach es ist, selbst gewählte Inhalte in Massenmedien zu platzieren und so gesellschaftliche Wirklichkeit werden zu lassen."
P.S.: Kommentare welche die Netiquette verletzen, werden von mir entfernt.
5 Kommentare:
Auch bei den englischen Scienceblogs wird gerade über dieses Thema diskutiert: Greg Laden und Pharyngula
Na ja, ich nehme mal an, daß die Bemerkungen zum Urheberrecht in 4) ironisch gemeint sind. Ich kenne zwar genug Leute, die sich wegen Prioritätsfragen jahrelange Grabenkämpfe liefern. Aber das jemand Urheberrecht beansprucht für einen Blogartikel, den er in 15 Minuten aus ein paar Internetquellen zusammengeschrieben hat, habe ich nun wirklich noch nicht gehört.
Ansonsten will ich zum Thema nur sagen, daß man die Seriosität eines Blogs am Inhalt erkennt, und nicht an der Auflistung von Namen, Schul- und Universitätsabschlüssen im Impressum. Zumal man die ja gar nicht nachprüfen kann. (Es gibt natürlich Ausnahmen, wenn bekannte Autoren auch einen Blog betreiben, z.B. 'die andere bildung'.)
Also: formale Kategorisierungen helfen nicht weiter. Man muß sich schon mit Inhalten auseinandersetzen. Wie die aktuellen Beispiele zeigen, ist es einfacher eine Nonsensmeldung ins Fernsehen zu bringen als sie bei scienceblogs unkommentiert zu veröffentlichen.
"Leider kann und darf man in der virtuellen Welt nicht alles glauben."
Diese Aussage hat ihre Berechtigung, allerdings gilt sie auch für die reale Welt, insofern sind wir noch nicht wirklich weiter.
Ich muss gestehen, ich kenne keine anonymen Wissenschaftsblogs, insofern kann ich auch zu den Gründen nichts sagen.
Qualität hat für mich nichts damit zu tun, ob jemand anonym schreibt oder nicht.
Ich bin allerdings auch nicht sicher, ob es wirklich um Qualität geht? Es gibt genügend Beispiele, die belegen, dass auch mit Namen versehene Veröffentlichungen gefälscht wurden. Das kann es also nicht sein.
Ist nicht vielmehr die Reputation das Problem? Da würden mir dann auch die Argumente für Logos oder Siegel einleuchten. Wenn jemand dann so ein Logo auf seinen Beitrag erhält und das Logo für Seriosität steht, dann färbt das auf den oder die VerfasserIn des Beitrags ab. Das Vertrauen baut dann aber auf dem Logo auf und nicht so sehr auf dem Namen der VerfasserIn. Sonst wäre das Logo sinnlos.
Allerdings muss sich auch die Organisation, die das Logo verwendet, ihren guten Ruf aufbauen. Sonst nützt das Logo nichts.
@ Thilo
"Na ja, ich nehme mal an, daß die Bemerkungen zum Urheberrecht in 4) ironisch gemeint sind."
Jein ;-) Wer nur etwas zusammenschreibt mit ein paar Links, für den ist das wirklich egal. Allerdings habe ich durchaus schon gute Beiträge auch bei anonymen Bloggern gelesen.Hier finde ich es einfach schade, wenn die Urheberschaft im Dunkeln bleibt und sich jeder daran - ohne Nennung des Autors - bedienen kann.
"Ansonsten will ich zum Thema nur sagen, daß man die Seriosität eines Blogs am Inhalt erkennt"
Auch das hat für mich seine zwei Seiten. Wissenschaftler ihres Faches erkennen sicher, ob ein Beitrag seriös ist. Anders sieht es für Wissenschaftler aus fremden Fachgebieten und für Laien aus.
In solchen Fällen steigt für mich persönlich die Seriosität, wenn ich weiß, dass z.B. ein studierter Chemiker etwas über Biochemie schreibt.
Wer seinen vollen Namen angibt und eine Qualifikation für sich beansprucht, welche er tatsächlich nicht besitzt, läuft ebenso Gefahr aufzufliegen, wie jemand welcher bei Scienceblogs "Nonsense" verbreitet, oder nicht?
Wer anonym bloggt ist ja nicht bei den Scienceblogs, d.h. hier gelingt es durchaus Nonsense zu bloggen. Dazu könnte ich einige Beispiele nennen ;-)
@ christian henner-fehr
"Leider kann und darf man in der virtuellen Welt nicht alles glauben."
Diese Aussage hat ihre Berechtigung, allerdings gilt sie auch für die reale Welt, insofern sind wir noch nicht wirklich weiter.
Da gebe ich Ihnen recht, wobei die Möglichkeit der Anonymität noch einmal eine andere Note besitzt. Wer im Printmedium etwas schreibt, hat - sofern er Wert darauf legt ;-)- durchaus seinen "Namen" zu verlieren, bzw. er steht mit seinem Namen für etwas ein.
In der Anonymität geht zusätzlich eine "namentliche" Verbindlichkeit verloren.
Nun haben wir ja bei den Wissenschaftsblogs eine große Vielfalt. Es ergeben sich dieselben Probleme, welche der Wissenschaftsjournalismus auch hat: Es wird über Themengebiete geschrieben, welche für den Wissenschaftler an sich "fachfremd" sind und die Gefahr einer Falschdarstellung ist einfach größer.....
"Ist nicht vielmehr die Reputation das Problem?..[..]Allerdings muss sich auch die Organisation, die das Logo verwendet, ihren guten Ruf aufbauen. Sonst nützt das Logo nichts."
Oh ja, so sehe ich das auch.
Und dann, so glaube ich jedenfalls, braucht man:
1. Zeit
2. Name - Kenntnis des Wissenschaftsbereiches
3. wissenschaftlich fundierte, seriöse Beiträge
und wenn man dann den "guten Ruf" erlangt hat, muss man ihn "pflegen" ;-)
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